Vorgeschichte und sentimentale Gedanken
Uiuiui, wo sollen wir anfangen? Wir versuchen, unsere Vorgeschichte kurz zu halten und möglichst schnell zu den wunderschönen Neuigkeiten zu kommen. Trotzdem möchten wir ein paar persönliche Gedanken mit euch teilen – vielleicht hilft das ja auch anderen Betroffenen, sich besser verstanden zu fühlen.
Hätten wir am 27.11.2022, als wir den Blog mit dem Titel „Kommt sehr viel Zeit, kommt dann irgendwann mal wieder Rad“ schrieben, gewusst, dass es ganze drei Jahre dauern würde, bis wir wieder auf dem Velo sitzen, hätten wir wahrscheinlich die Motivation verloren, morgens überhaupt aufzustehen.
Wie oft haben wir uns in diesen drei Jahren Velo-Reisevideos von anderen angeschaut – und uns liefen dabei die Tränen die Wangen hinunter. Die Vorstellung, dass wir jemals wieder so gesund sein würden, dass wir nach mehrtägiger Aktivität nicht erneut tagelang oder wochenlang im Bett liegen müssten, war zeitweise so weit weg, dass ich manchmal einfach aufgegeben hätte. Nur Nicole hat, trotz ihres damals noch viel schlechteren Zustands, die Hoffnung, dass wir wieder ganz gesund werden, nie aufgegeben. Diese unglaubliche positive Energie, die sie die ganze Zeit über aufbringen konnte, obwohl sie in den drei Jahren das Haus nie länger als ein paar Stunden verlassen konnte, hat mich immer wieder umgehauen – oder besser gesagt aufgerichtet, um weiterzukämpfen.
Wir sind unendlich stolz auf uns, dass wir Hand in Hand weitergekämpft haben. Meist fühlte sich der Kampf an, als würden wir als 90-jähriges Ehepaar, in von Rost durchlöcherter Ritterrüstung und mit zwei Krücken bewaffnet, in die Schlacht ziehen.
Denn bis heute, fünf Jahre nach den ersten Long-Covid-Fällen, wird die Krankheit in der Gesellschaft und vom Staat immer noch nicht richtig anerkannt. Da es aber immer mehr Fälle gibt, hören wir nun doch öfters, dass die Leute auch andere Betroffene kennen.
Traurigerweise haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Menschen meist erst dann wirkliches Interesse oder Mitgefühl zeigen, wenn sie ein betroffenes Kind kennen. Liegt das daran, dass Kinder nicht lügen und sich nicht wehren können? Auch Erwachsene wünschen sich nichts sehnlicher, als gesund zu sein und ihr altes Leben zurückzubekommen. Niemand bleibt freiwillig krank, niemand entscheidet sich bewusst für ein Leben, das von Erschöpfung, Schmerzen und Unsicherheit geprägt ist.
Ausserdem möchten wir gesagt haben, dass wir keinen einzigen Rappen – weder von der Krankenkasse, der Arbeitslosenversicherung, der Taggeldversicherung, der IV noch aus anderen öffentlichen Mitteln – erhalten oder in Anspruch genommen haben.
Da wir beide Teilzeit arbeiten, haben wir sozusagen unsere Freitage genutzt, um überhaupt durchs Leben zu kommen. Nicole hat ihr 40%-Pensum auf sieben Tage verteilt, da sie nie mehr als eine Stunde am Stück arbeiten konnte. Und ich (Beni) lag an den meisten Freitagen im Bett, um Energie zu tanken – damit ich wenigstens ab und zu mit meinem Gleitschirm in die Luft kam.
Wir haben auf sehr vieles verzichtet, lagen an den meisten Wochenenden gemeinsam im Bett, hörten die Nachbarn draussen fröhlich lachen und rochen die grillierten Würste.
Von aussen sah das vielleicht nicht immer so aus, weil ich oft irgendwie funktionierte und ab und zu doch Wandern oder Gleitschirmfliegen konnte – doch das ging fast immer mit viel Erholung danach, oder wie man bei Long Covid sagt, mit einem „Crash“ einher.
Ich war es auch leid, immer wieder dieselbe Frage zu hören: „Wo ist Nicole? / Kommt Nicole auch?“
Auch wenn die Frage meist nett gemeint war, kamen trotzdem Bemerkungen wie: „Kann sie sich nicht einfach ein bisschen aufraffen?“ – und mir wurde jedes Mal aufs Neue bewusst, wie sehr ich sie an meiner Seite vermisse.
Positives und was uns nun wirklich geholfen hat
Trotz allem Negativen haben wir so einiges für unser Leben aus der Erfahrung dieser drei Jahre mitgenommen. Wir „durften“ etwas erfahren, was die meisten Menschen erst im hohen Alter erleben, wie kostbar ein gesunder Körper wirklich ist.
Erst wenn der eigene Körper nicht mehr so funktioniert, wie man es von früher gewohnt ist, merkt man, wie selbstverständlich man Gesundheit oft genommen hat. Jede Bewegung, jeder Spaziergang, jeder Tag ohne Symptome, all das bekommt plötzlich einen unbeschreiblichen Wert.
Wir sind unendlich dankbar, dass wir heute wieder gesund sind und unseren Alltag wieder gemeinsam und frei gestalten können. Diese Dankbarkeit begleitet uns seither in allem, was wir tun. Sie hat uns gelehrt, achtsamer zu leben und geduldiger mit uns zu sein.
Genau, ihr habt richtig gehört – wir sind wieder gesund! 😃🤩
Wie wir das geschafft haben, versuchen wir hier kurz zusammenzufassen. Für andere Betroffene, die sich näher dafür interessieren: schreibt uns ungeniert an.
Über die Jahre haben wir wirklich vieles ausprobiert 😅 – von Sauerstofftherapie über diverse Lebensanpassungen mit Pacing, Pulsuhr, Ernährung, verschiedenste Nahrungsergänzungsmittel bis hin zu extrem teuren Infusionen mit Vitamin-Komplexen, Antioxidantien und vielem mehr.
Leider hat uns all das nicht wirklich weitergebracht.
Dann starteten wir einen Online-Kurs namens Gupta-Programm, der sich mit der Regulation des Nervensystems befasst. Zum ersten Mal hatten wir das Gefühl, dass ein Ansatz wirklich Sinn ergibt – und unsere Symptome auch erklären kann. Doch so richtig vorwärts kamen wir trotzdem nicht. Es war, als hätten wir ein gutes Werkzeug in der Hand, wüssten aber noch nicht, wie man es richtig benutzt.
Die Monate vergingen, bis wir auf unserer Facebook-Vereinsseite Long Covid Schweiz über einen Beitrag stolperten:
„Long Covid und meine Reise zurück ins Leben“ von Johannes.
Seine Geschichte hatte so viele Parallelen zu unserer, dass wir neugierig wurden und uns den Lightning Process (LP) genauer anschauten – die Methode, mit der er wieder gesund geworden war.
Da wir zu dem Zeitpunkt aber noch mit anderen Ansätzen beschäftigt waren, legten wir das Thema erst einmal beiseite. Wir sagten uns: Das können wir ja später auch noch ausprobieren.
Ein paar Monate später befassten wir uns – durch einen glücklichen Zufall – mit der Wirkung des Fliegenpilzes 🍄 auf das Nervensystem. Die Wirkung war erstaunlich stark, wenn auch leider nicht dauerhaft. Doch genau diese Erfahrung machte uns bewusst, wie eng unser Zustand mit dem Nervensystem verbunden war – und dass es höchste Zeit war, den Lightning Process auszuprobieren.
Nicole musste ich zuerst noch etwas ermutigen, denn der LP beinhaltet ein dreitägiges Coaching vor Ort.
Mehr als eine Stunde Frontalunterricht war für Nicole zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar – und dann auch noch in Genf, auf Englisch 😅.
Zum Glück hatte ich vorher mit Johannes telefoniert, und er versicherte mir, dass er das im selben Zustand wie Nicole geschafft hatte. Das gab uns Mut.
Ganz vereinfacht gesagt ist der Lightning Process ein Trainingsprogramm, das mentale Techniken, Körperhaltung und Sprachmuster kombiniert, um das Gehirn neu zu verknüpfen und dadurch körperliche sowie emotionale Symptome zu beeinflussen.
Also packten wir unsere sieben Sachen und machten uns auf den Weg nach Hermance, in der Nähe von Genf, zu unserer Trainerin Lucia.
Was in diesen drei intensiven Tagen bei Lucia geschah, bleibt für uns bis heute ein Wunder.
Bereits am zweiten Tag war Nicole das erste Mal seit drei Jahren den ganzen Tag auf den Beinen. Wir gingen auswärts essen, machten einen Spaziergang – und am Abend büffelten wir sogar noch ein bisschen Theorie.
Als Nicole am dritten Tag das Tagebuch aufschlug und vorlas, was wir am Tag zuvor alles geschafft hatten, brachen alle Dämme – wir weinten vor Glück, ungläubig und überwältigt zugleich.
Wie gesagt: Der Lightning Process ist ein Training – keine Pille, die man schluckt und dann gesund ist.
Man muss aktiv dranbleiben, besonders am Anfang sehr konsequent. Doch je länger man übt, desto leichter wird es – und desto seltener tauchen die Symptome wieder auf.
Mittlerweile haben wir viele Tage, an denen es gar nicht mehr nötig ist, das Training bewusst anzuwenden. Und genau das fühlt sich an wie Freiheit.


Der neue Plan
Noch während des Lightning-Process-Trainings war uns klar: Wir gehen wieder aufs Velo!
Planen, träumen und sich in schwierigen Zeiten mit den positiven Gedanken an eine bevorstehende Reise abzulenken, lässt sich perfekt mit dem LP verbinden.
Neben den vielen positiven Stimmen aus unserem Umfeld gab es verständlicherweise auch jene, die meinten:
„Wollt ihr nicht zuerst einmal in eine normale Wohnung und ein normales Leben zurückkehren?“
😂 Nun ja… wir sind zwei ziemliche Dickschädel. Wenn wir uns etwas in den Kopf setzen, wird das umgesetzt – und meistens schieben wir die Dinge nicht lange auf.
Also, all-in!
Als wir sicher waren, dass wir das irgendwie hinbekommen, kündigten wir einmal mehr unsere Jobs und meldeten uns von der Schweiz ab. Da wir ohnehin auf einem abbruchreifen Bauernhof lebten, war der Auszug aus unserer ohnehin temporären Wohnung die kleinste Herausforderung – und so lagerten wir zum dritten Mal unsere Habseligkeiten ein.



Aber wohin sollte es nun gehen?
Es sollte warm sein, nicht allzu viele Höhenmeter haben (Nicole konnte immerhin drei Jahre keinen Sport machen) und eine gute Infrastruktur bieten, damit wir Pausen einlegen können, wenn wir sie brauchen.
Unser geliebtes Ziel Australien fiel damit leider weg – die unendlichen Weiten und das lebensfeindliche Outback verschieben wir auf später 😉.
Da wir schon zweimal auf der bezaubernden Insel La Palma waren, kam uns die Idee, einfach noch einmal dorthin zu fahren – nur diesmal nicht in vier Stunden mit dem Flieger, sondern in zweieinhalb Monaten mit dem Velo und der Fähre.
Auf La Palma werden wir in Puerto Naos in unserer bereits bekannten Wohnung rund anderthalb Monate Pause machen und dort Weihnachten und Neujahr verbringen.
Danach erkunden wir, teils zu Fuss und teils mit dem Velo, die restlichen sechs Kanarischen Inseln und fahren dann wahrscheinlich im Frühling oder Sommer 2026 über Portugal wieder nach Hause.
Soweit der Plan – mal schauen, wie es sich ausgeht 😉.
Hier einen Überblick – die Karte findet ihr ab heute auch wieder auf der Startseite.
Zudem haben wir unsere aktuelle Ausrüstungsliste angepasst: Link
Wir sind wirklich unterwegs! 🚴♀️🚴♂️

Am 10.10.2025 starteten wir in ein neues Kapitel unseres Lebens. Einerseits fühlte sich alles vertraut an, andererseits trauten wir uns noch nicht, grosse Freude aufkommen zu lassen. Für uns heisst es jetzt, Schritt für Schritt wieder hineinzufinden und das Trauma der Erkrankung aus der letzten Reise langsam zu durchbrechen.
Das ist auch einer der Gründe, weshalb dieser erste Blogbeitrag erst jetzt erscheint – wir wollten uns einfach keinen unnötigen Druck machen, sondern alles in unserem eigenen Tempo angehen.
Das Wetter meinte es am Anfang gut mit uns und wir starteten mit Sonne im Gesicht. Doch schon bald wehte den ganzen Tag über eine eisige Bise und die Sonne versteckte sich hinter dicken Wolken.
Der Wind hatte immerhin so viel Anstand, dass er uns fleissig von hinten unterstützte – und da auch kein einziger Tropfen Regen fiel, blieb unsere Laune stabil.
So ging es etwa eine Woche lang entlang der „Mittelland-Route“ Richtung Genf.
Um der aufkommenden Kälte zu entfliehen, entschieden wir uns schliesslich von Genf mit einem Flixbus ins mindestens zehn Grad wärmere Marseille zu fliehen. Mit dem Zug wäre uns eigentlich lieber gewesen, aber mit den Velos erwies sich das wieder einmal als richtig kompliziert. Selbst die Mitarbeitenden der SBB konnten uns keine klare Auskunft geben.
Also buchten wir den Flixbus, der leider über Nacht fuhr.
Nach rund zehn Stunden Fahrt – mit einmal Umsteigen in Lyon, ohne Schlaf, aber voller Vorfreude – kamen wir morgens um 4:30 Uhr in Marseille an.
Die Vorfreude hielt nur kurz, da wir nach einem schönen Sightseeing-Tag erste Grippesymptome spürten – wir müssen uns wohl im Flixbus bei der Person, welche die ganze Fahrt über stark hustete, angesteckt haben. Die Grippe war so heftig, dass wir erst nach fast 2 Wochen aus unserem 3×4 m kleinen Hotelzimmer endlich auschecken und weiterfahren konnten.
















Wir freuen uns sehr, euch ab jetzt wieder in unregelmässigen Abständen über unsere Weiterreise berichten zu können!
Dass wir heute wieder in die Pedale treten dürfen, ist für uns das grösste Geschenk – und wir hoffen, dass unsere Geschichte auch anderen Mut macht, immer an ein Wunder zu glauben ❤️☀️.

Hey ihr beide…
Mir sind Träne nur so gloffe…
Ihr hend eues Schicksal mit Long Covid packt, alles geh, nöd ufgeh, über drü Johr lang…
und jetzt teilt, danke viilmol, ich freu mi so mit eu,
herzlichst Heidi, d Mame